Saturday, March 19, 2011

Verfügbarkeitsheuristik - Kobe als Vorbild?

Wann immer unvorhergesehe, dramatische Entwicklungen uns Menschen beschäftigen, versuchen wir diese anhand unserer Erfahrungen einzuordnen und zu bewerten.

Die Behavioral Finance Forschung hat dabei herausgefunden, dass dabei die sogenannte Verfügbarkeitsheuristik uns "zu Diensten" ist. Diese besagt, dass das am schnellsten verfügbare, ähnliche Ereignis zuerst aus dem Erfahrungsspeicher abgerufen wird und unsere Einschätzung massgeblich prägt.

Ganz mehrheitlich ist das Erdbeben von Kobe (Japan, 1995) das am schnellsten memorierte Ereignis und bestimmt ganz wesentlich derzeit die Einschätzung der Anleger und der Ökonomen.

Dies hat eine handfeste Konsequenz für die Anlagestrategie: wir müssen uns bei der Abschätzung der künftigen Ereignisse nicht auf die Gemeinsamkeiten zu Kobe, sondern auf die Unterschiede konzenrtrieren! Denn die Gemeinsamkeiten sind in den aktuellen Handlungen und Einschätzungen der Anleger dominant und deshalb wahrscheinlich eingepreist.

Die Unterschiede zu Kobe sind zudem gewaltig:

  • Japan ist derzeit wesentlich stärker im "Stillstand" als damals
  • Die Ausgangslage in Fragen der Finanzierung (siehe Staatsschulden und Stabilität des Bankensystems) ist weitaus prekärer als 1995
  • Die atomare Verseuchung erzeugt Unsicherheiten über das Ausmaß der Verseuchung, die tatsächlichen Kosten diese einzudämmen und über die künftige Bewertung japanischen Immobilienvermögens (ein großer deutscher Immofonds musste deshalb schon die Anteilsrücknahme einstellen!)
  • Die Energieversorgung ist auf Sicht unklar und muss stärker auf Gas umgestellt werden (Wirkung auf Öl- und Gaspreise?)
  • Mit China ist ein starker Wirtschaftsmotor vorhanden, stärker wahrscheinlich als die USA 1995
Alleine diese kurze, bei weitem nicht vollständige Auflistung zeigt, dass erhebliche Unsicherheitsfaktoren gegeben sind. Wir müssen die Entwicklung in diesen Punkten beobachten und einschätzen, um eine tragfähige Anlagestrategie zu entwickeln.

Das simple Vertrauen auf die memorierte Kobe-Erfahrung scheint kein guter Ratgeber zu sein. Die Gefahr, einer Behavioral Finance Anomalie zu erliegen, ist mal wieder gegeben!

Wednesday, March 16, 2011

Ökonomie in der Krise - Umschulung notwendig?

Die katastrophalen Ereignisse in Japan halten die Welt weiter in Atem. Die Börsen schwanken entsprechend der Nachrichtenlage. Als Beobachter der Finanzmärkte zählt die ökonomische Bildung offenbar nicht mehr, vielmehr scheint eine meteorologische oder atomtechnische Ausbildung nun die alles entscheidende Frage zu sein.

Doch Investoren sind gut beraten, die jeweilige Windrichtung nicht zum Maßstab ihres Handelns zu machen. Zumal die Nachrichtenlage insgesamt weiter so unübersichtlich und widersprüchlich ist. Und man leider davon ausgehen muss, dass zur Vermeidung größerer Unruhe in der Bevölkerung zwar - wie Helmut Schmidt es formulieren würde - die Wahrheit gesagt wird, aber eben nicht alles.

Ich glaube, dass ökonomischer Sachverstand gerade in diesen Tagen gefragt ist, doch von Angst und einer übermäßigen Fokussierung auf die aktuelle Nachrichtenlage möglicherweise nicht zur Geltung kommt.

Da wäre zunächst einmal die grundsätzliche Frage: "Kernkraft - ja oder nein". Ich wundere mich, dass in dieser Frage noch niemand eine wirklich marktwirtschaftliche Lösung vorgeschlagen hat. Wir wissen, dass im Falle eines Super-Gau Schäden in katastrophaler Höhe (100 Mrd? 500 Mrd? 20% vom BIP? Jedes Jahr?) entstehen. Die Ukraine wendet heute noch jährlich 5% ihres BIP für die Bwältigung von Tschernobyl auf. Wer Kernenergie produzieren oder konsumieren will, soll ganz einfach einen Vollkostenpreis bezahlen. In den Risikobewertungen wird davon ausgegangen, dass ein Kernkraftwerk einmal in 100.000 Jahren einen Super-Gau produziert. Da wir es hier mit unvorhersehbaren Ererignissen zu tun haben, müssen wir einen Risikoaufschlag machen.

Weltweit gibt es seit ca. 50 Jahren insgesamt rund 450 Kraftwerke und 3 Super-Gaus. Mithin beträgt die empirische (!) Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis nicht 1:100.000, sondern einmal in 7.500 Jahren. Da der größte Drawdown immer in der Zukunft liegt, verdoppeln wir die Wahrscheinlichkeit auf 1:3.750.

Die Energiekonzerne müssen demnach jährlich Geld zurücklegen, um alle 3.750 Jahre je Kraftwerk alle (!) Schäden zu bezahlen (Personen- und Sachschäden). Zudem müssen sie alle Kosten für die Endlagersuche, alle Atomtransporte (inkl. Sicherungsmaßnahmen) etc. finanzieren. Vollkosten eben.

Glaubt irgendjemand, dass Kernkraft dann wirtschaftlich wäre? Ähnlich müsste es bei fossilen Kraftwerken laufen. Der Marktpreis müsste auch hier die Folgekosten beinhalten. Wahrscheinlich wäre auch Kohlekraft dann ziemlich teuer. Plötzlich würde sich eine Solaranlage auf jedem Dach rentieren, ohne staatliche Förderung! Eine Horrorvorstellung für die Stromkonzerne, wenn plötzlich die Kunden zum Selbstversorger würden. Energie wäre aber so oder so wohl um einiges teurer als heute. Aber auch das wäre marktwirtschaftlich korrekt, denn Energie sparen würde sich deutlich stärker lohnen. Wie viele Büro-Computer bleiben über Nacht eingeschaltet, nur weil die Mitarbeiter zu faul sind, auf den Neustart morgens zu warten? Mir sind so einige bekannt ...

Darüber hinaus könnte sich auch in Fragen der aktuellen Tagespolitik ökonomischer Sachverstand lohnen.

Aber auch in Fragen der aktuellen Katastrophe sollten die Anleger ihren Sachverstand nicht ablegen. Dies betrifft zum einen die Frage, was im schlimmsten Falle droht. Gemein hin werden vor allem die Folgen auf die Konjunktur diskutiert. Im "worst case" steht aber eine andere Frage im Raum, nämlich die der Asset-Vernichtung. Eine Verseuchung von größeren Landstrichen, von Tokio ganz zu schweigen, stellt eine massive Wertvernichtung von Immobilienvermögen dar. Ein "Finanz-Tsunami" ähnlich der Finanzkrise könnte die Folge sein und würde auf ein ohnehin geschwächstes Welt-Finanzsystem treffen.

Aber auch wenn das Schlimmste ausbleibt, was wir nur alle sehnlichst hoffen können, dürfte schon heute feststehen, dass immense Kosten auf Japan zukommen. Der Aufbau könnte in gewisser Hinsicht eine Sonderkonjunktur schaffen, aber die Finanzierung ist fraglich. Es steht zu erwarten, dass nur über eine Monetarisierung, also dem Drucken von neuem Geld, dieser Kraftakt zu stemmen sein dürfte. Mit "solider" Finanzierung wohl kaum, wenn dann nur zu erheblich höheren Zinsen, was im Falle Japans eine negative Spirale in Gang setzen kann. Das wahrscheinlichste Szenario scheint demnach, dass die Katastrophe in Japan - so oder so - der Entwertung von Finanzanlagen gegenüber realen Gütern weiteren Vorschub leistet. Das hat Folgen für die Asset Allocation und lässt die Bondmarktgewinne der letzten Tage in anderem Licht erscheinen.

Auch hier wären Ökonomen gefragt. Doch von diesen hört man dazu derzeit leider nichts.

Monday, March 7, 2011

Krokodilstränen

Heute berichtet das Handelsblatt in der Rubrik "Wissenswert" (S. 18) von einer Studio Wolfsburger Ökonomen, die herausfanden, dass die meisten offiziellen Zinsprognosen das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Denn sie beschreiben besser die Gegenwart, als die Zukunft.

Dies ist eigentlich keine neue Erkenntnis, denn im Rahmen diverser Studien wurde die mangelnde Güte von Prognosen bereits mehrfach dokumentiert. Dies brachte der Wirtschaftslehre den Ruf einer "dismal science", einer trostlosen Wissenschaft, ein.

Spannender ist jedoch eine andere Frage: warum werden dann gerade von den Medien immer wieder diese "bedrückenden Prognosen" eingefordert? Wo bleibt der kritische Journalismus, der die Vertreter der Prognosezunft stärker mit ihren Aussagen konfrontiert? Wer hält schon die Güte von Prognosen nach?

Es sind doch auch die Medien - und damit die Öffentlichkeit -, die lieber Aussagen und Prognosen verarbeiten, die "normgerecht" sind, die zum eigenen Weltbild passen und damit leicht zu verarbeiten sind. Die kritischen Geister sind ja ab und an ganz nett, aber einem Massenpublikum verkauft sicht eine "Konsensmeinung" eben besser. Wir alle mögen es doch lieber bestätigt werden, als ständig mit widersprechenden Aussagen konfrontiert zu werden.

So bleibt denn auch der Artikel zur Prognosegüte am Ende wieder nur eine Randnotiz. Etwas ändern, wird sich nicht.