Die katastrophalen Ereignisse in Japan halten die Welt weiter in Atem. Die Börsen schwanken entsprechend der Nachrichtenlage. Als Beobachter der Finanzmärkte zählt die ökonomische Bildung offenbar nicht mehr, vielmehr scheint eine meteorologische oder atomtechnische Ausbildung nun die alles entscheidende Frage zu sein.
Doch Investoren sind gut beraten, die jeweilige Windrichtung nicht zum Maßstab ihres Handelns zu machen. Zumal die Nachrichtenlage insgesamt weiter so unübersichtlich und widersprüchlich ist. Und man leider davon ausgehen muss, dass zur Vermeidung größerer Unruhe in der Bevölkerung zwar - wie Helmut Schmidt es formulieren würde - die Wahrheit gesagt wird, aber eben nicht alles.
Ich glaube, dass ökonomischer Sachverstand gerade in diesen Tagen gefragt ist, doch von Angst und einer übermäßigen Fokussierung auf die aktuelle Nachrichtenlage möglicherweise nicht zur Geltung kommt.
Da wäre zunächst einmal die grundsätzliche Frage: "Kernkraft - ja oder nein". Ich wundere mich, dass in dieser Frage noch niemand eine wirklich marktwirtschaftliche Lösung vorgeschlagen hat. Wir wissen, dass im Falle eines Super-Gau Schäden in katastrophaler Höhe (100 Mrd? 500 Mrd? 20% vom BIP? Jedes Jahr?) entstehen. Die Ukraine wendet heute noch jährlich 5% ihres BIP für die Bwältigung von Tschernobyl auf. Wer Kernenergie produzieren oder konsumieren will, soll ganz einfach einen Vollkostenpreis bezahlen. In den Risikobewertungen wird davon ausgegangen, dass ein Kernkraftwerk einmal in 100.000 Jahren einen Super-Gau produziert. Da wir es hier mit unvorhersehbaren Ererignissen zu tun haben, müssen wir einen Risikoaufschlag machen.
Weltweit gibt es seit ca. 50 Jahren insgesamt rund 450 Kraftwerke und 3 Super-Gaus. Mithin beträgt die empirische (!) Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis nicht 1:100.000, sondern einmal in 7.500 Jahren. Da der größte Drawdown immer in der Zukunft liegt, verdoppeln wir die Wahrscheinlichkeit auf 1:3.750.
Die Energiekonzerne müssen demnach jährlich Geld zurücklegen, um alle 3.750 Jahre je Kraftwerk alle (!) Schäden zu bezahlen (Personen- und Sachschäden). Zudem müssen sie alle Kosten für die Endlagersuche, alle Atomtransporte (inkl. Sicherungsmaßnahmen) etc. finanzieren. Vollkosten eben.
Glaubt irgendjemand, dass Kernkraft dann wirtschaftlich wäre? Ähnlich müsste es bei fossilen Kraftwerken laufen. Der Marktpreis müsste auch hier die Folgekosten beinhalten. Wahrscheinlich wäre auch Kohlekraft dann ziemlich teuer. Plötzlich würde sich eine Solaranlage auf jedem Dach rentieren, ohne staatliche Förderung! Eine Horrorvorstellung für die Stromkonzerne, wenn plötzlich die Kunden zum Selbstversorger würden. Energie wäre aber so oder so wohl um einiges teurer als heute. Aber auch das wäre marktwirtschaftlich korrekt, denn Energie sparen würde sich deutlich stärker lohnen. Wie viele Büro-Computer bleiben über Nacht eingeschaltet, nur weil die Mitarbeiter zu faul sind, auf den Neustart morgens zu warten? Mir sind so einige bekannt ...
Darüber hinaus könnte sich auch in Fragen der aktuellen Tagespolitik ökonomischer Sachverstand lohnen.
Aber auch in Fragen der aktuellen Katastrophe sollten die Anleger ihren Sachverstand nicht ablegen. Dies betrifft zum einen die Frage, was im schlimmsten Falle droht. Gemein hin werden vor allem die Folgen auf die Konjunktur diskutiert. Im "worst case" steht aber eine andere Frage im Raum, nämlich die der Asset-Vernichtung. Eine Verseuchung von größeren Landstrichen, von Tokio ganz zu schweigen, stellt eine massive Wertvernichtung von Immobilienvermögen dar. Ein "Finanz-Tsunami" ähnlich der Finanzkrise könnte die Folge sein und würde auf ein ohnehin geschwächstes Welt-Finanzsystem treffen.
Aber auch wenn das Schlimmste ausbleibt, was wir nur alle sehnlichst hoffen können, dürfte schon heute feststehen, dass immense Kosten auf Japan zukommen. Der Aufbau könnte in gewisser Hinsicht eine Sonderkonjunktur schaffen, aber die Finanzierung ist fraglich. Es steht zu erwarten, dass nur über eine Monetarisierung, also dem Drucken von neuem Geld, dieser Kraftakt zu stemmen sein dürfte. Mit "solider" Finanzierung wohl kaum, wenn dann nur zu erheblich höheren Zinsen, was im Falle Japans eine negative Spirale in Gang setzen kann. Das wahrscheinlichste Szenario scheint demnach, dass die Katastrophe in Japan - so oder so - der Entwertung von Finanzanlagen gegenüber realen Gütern weiteren Vorschub leistet. Das hat Folgen für die Asset Allocation und lässt die Bondmarktgewinne der letzten Tage in anderem Licht erscheinen.
Auch hier wären Ökonomen gefragt. Doch von diesen hört man dazu derzeit leider nichts.
Das Handelsblatt hat heute auf Seite 1 zu rechnen begonnen ...
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