Sunday, July 24, 2011

Lockruf für Wölfe

"You can ignore reality - but ultimately you can't ignore the consequences of ignoring reality" - Ayn Rand

Es gab eine Zeit in der europäischen Schuldenkrise, vor ca. einem Jahr, da galten die Wolfsrudel der Kapitalmärkte (die Hedgefonds und andere "spekulative Anleger") als etwas Schreckliches, als etwas, dass es zu verjagen galt.

Das ist seit den Beschlüssen der Regierungschefs von dieser Woche anders - man findet, wahrscheinlich mangels finanzmarkttechnischem Sachverstand sogar unwissentlich, gefallen daran, die Wölfe wieder anzulocken!

Denn was bedeuten die Beschlüsse mit den angekündigten Offerten (a) Umtausch bei ca. 20% Abschlag auf den Nennwert und (b) Rückkaufangebot am Sekundärmarkt wohl für diese Anlegergruppe wenn die Marktkurse je nach Laufzeit bei ca. 50-70% notieren? Eine wunderbare Gelegenheit, auf Kosten des Steuerzahlers Geld zu machen.

In der ersten Phase passiert etwas für die Politiker höchst Willkommenes: die Wölfe kaufen die Bonds zu Stresspreisen am Markt auf und treiben die Preise in die Höhe. Das tun sie unabhängig davon, ob die Beschlüsse wirklich die Probleme lösen, einfach weil es eine praktisch sichere Spekulation ist. Da die Politik sich dazu entschlossen hat, unter keinen Umständen das Problem wirklich zu lösen sondern an allen Fehlkonstruktionen festzuhalten ("ignoring the reality"), könnte man ja auf diesen Willen vertrauen. Der EFSF-Fonds ist mit 700 Mrd. dotiert und noch kaum in Anspruch genommen, also dürfte "Platz" für die ca. € 150 Mrd. an griechischen Schulden sein, die in den nächsten Jahren zur Refinanzierung anstehen.

Durch die steigenden Preise formt sich bei der "Allgemeinheit" ein Eindruck: die Beschlüsse greifen, wir befinden uns auf dem richtigen Weg! Man konnte es bereits am Donnerstag in den Nachrichten vernehmen und es zeigt sich auch in den Kommentaren von Ökonomen danach: praktisch niemand sieht die Beschlüsse als Problemlösung, aber alle sind ganz voll lobender Worte.

Doch wahrscheinlich freut sich die Öffentlichkeit und die Politik zu früh. Denn die Preise klettern weiter bis zu zwei interessanten Levels. Level 1 liegt etwa auf dem "Wert" der Umtauschofferten. All die "freundlichen Banker und Versicherer", die sich an der Problemlösung ja durch "Verzicht" beteiligen wollen, haben plötzlich die Option, statt eines Tausches zu Marktpreisen zu verkaufen. Sollte just zu dieser Zeit die Politik gerade beschlossen haben, ihre Option 2 - den Rückkauf - zu starten, stehen neben den Wölfen sogar weitere Käufer für die Privatgläubiger bereit. Statt also die Schulden zu strecken, dürfte diese Anlegergruppe nun eher die Bonds verkaufen. Das Ergebnis wird also sein, dass immer mehr Anleihen beim EFSF landen und die Schuldenreduzierung durch den Rückkauf kaum mehr als 20% betragen dürfte. Insgesamt reduzieren sich Griechenlands Schulden um weniger als 30 Mrd.

In dieser Phase dürften zwar einige der Wölfe Gewinne mitnehmen, andere dürften aber darauf spekulieren, dass die Politik die Bonds planmäßig tilgen muss. Denn derzeit ist ja keine Rede von einem Zwangsumtausch, wie er zum Beispiel nach einem "echten" Default in einer Gläubigerversammlung beschlossen werden könnte. Wir haben es hier mit einem politischen Beschluss unter sehr selektiver Beteiligung einiger "Top-Banker" zu tun, der für einen Hedgefonds oder sonstigen Anleger keine Bindung hat. Letztlich könnten alle Gläubiger, ob Wolf oder Banker, auf eine planmäßige Tilgung setzen, welche die Politik wohl faktisch betreiben muss, will sie nicht binnen weniger Monate doch die unkontrollierte Insolvenz riskieren. Damit erhalten die Wölfe eine ganz fette Dividende zu Lasten der Steuerzahler und die effektive Schuldenreduktion beträgt deshalb wohl deutlich weniger als 20%!

Doch nicht genug! Was macht ein "gewissenhafter" Wolf, der einen so "riskanten" Trade macht? Er hedged sich trotzdem. Der beste Hedge ist aber nicht, die Bundesanleihen zu shorten. Der beste Hedge ist, belgische oder italienische Staatsanleihen zu verkaufen und mit diesem Geld Anleihen von Griechenland, Portugal oder Irland zu erwerben. Denn wenn das EU-Manöver scheitert, sind die Verluste hier sicher größer, als bei Griechenbonds, die schon bei 50% notieren.

Die Wölfe sahnen also bei Greece & Co. richtig ab und halten die Politik über Italien & Co. in Atem. Solange hier die Probleme akut bleiben, wird die Politik weiter in gewünschter Art und Weise "funktionieren"!!!

Das ist also das Ergebnis des vielbejubelten Gipfels vom Donnerstag! Unglaublich, unfassbar, unerträglich. Aber weil es ja vermeintlich der Politik dient, werden die Wölfe bejubelt. "Der Feind meines Feindes ist mein Freund"

Doch diese Geschichte hat kein Happy End für die Politik. Das Ergebnis dieses Prozesses, sofern er nicht noch durch einen Bundestagsbeschluss oder ein anderes Event ausgehebelt wird (was zu hoffen ist!), ist, dass die 700 Mrd. EFSF-Gelder für die Anleihen Griechenlands, Portugals und Irlands eingesetzt werden, die Wölfe ihren Reihbach machen und die Banken und Versicherer sich ihrer "unerwarteten" Wertaufholungen erfreuen - jedoch "ganz unerwartet" die Wölfe trotzdem nicht ihre Shorts in Italien & Co. eindecken, sondern im Gegenteil - mit Verweis auf das zu geringe Volumen des EFSF - nun noch mehr Italien & Co. shorten! Die Ratingagenturen, die anfangs den EFSF natürlich AAA einstufen, werden nun mit Hinweis auf die schwindende Schuldentragfähigkeit von Italien & Co. sowohl diese Länder, die ja auch am EFSF beteiligt sind, als auch zunehmend das Konstrukt EFSF hinterfragen. Und dann? "Ultimately, you can't ignore the consequences of ignoring the reality!"

Prof. Shiller, Yale University, hat am 22.7. in der Börsen Zeitung zu recht darauf hingewiesen, dass eine wie auch immer geartete Schuldengrenze in % des BIP als Marktbarometer nicht taugt und die Schuldenkrise vor allem deshalb eine solche Dynamik erfahren hat, weil es um selbstverstärkende Wahrnehmungsprozesse geht. Vertrauen ist wie ein scheues Reh, es ist leicht verloren und schwer wieder zu erlangen. In weiten Teilen der Bevölkerung ist dieses Vertrauen so stark beschädigt worden, dass es durch einen "faulen Zauber" nicht zurückkehren wird.

Thursday, July 21, 2011

Kaschieren statt reduzieren

Die Märkte feiern - die Medien jubeln! Wir haben ein neues Rettungspaket, endlich eines, "welches das Übel an den Wurzeln pakt", wie es unsere Bundeskanzlerin als Losung vor dem heutigen Gipfel ausgegeben hat. Eines, welches endlich die Beteiligung der Privaten an der Schuldenproblematik bringt.

Nun, in einem stimmt das oben stehende: wir privaten Steuerzahler sind in der Tat kräftig beteiligt. Aber eine Lösung der Schuldenproblematik und ein Ende der Krise der europäischen Politik ist dieser Kompromiss sicher nicht.

Was genau beschlossen wurde, kann man hier und hier nachlesen.

Einerseits könnten wir ja zufrieden sein, immerhin ist man auf die Idee mit dem Rückkauf von Anleihen, wie wir ihn hier bereits vor mehr als einem Jahr vorgeschlagen haben, eingegangen. Doch die Sache hat einen Haken, weshalb wir im Dezember 2010 mit der "Investor-Put"-Lösung nachgelegt haben. Denn wie wickelt man diesen Rückkauf ab? Wird für jede Anleihe ein Geldkurs öffentlich genannt? Kaufen unsere Politiker einfach wahllos am Markt (wer kontrolliert diesen Prozess?), was bei steigenden Preisen die Reduzierung der Schulden wieder relativiert? Und warum soll überhaupt jemand Anleihen verkaufen? Schließlich soll der "Default", also der Zahlungsausfall dadurch ja vermieden werden.

Wenn sich die großen Player am Markt, die mit der Politik ihre eigene Beteiligung aushandeln durften (etwas, was man der Versorgerbranche beim erst jünsgt erfolgten Atomausstieg nicht mehr erlaubte), an die Regelung halten - schön und gut. Aber was ist mit allen anderen privaten Gläubigern, die nicht gefragt wurden und die sich nun sagen: zahlt mir bitte meine Anleihen zum Nennwert zurück! Ein Zwang ist hier eigentlich nicht möglich ohne Prozesse und unkalkulierbare Risiken einzugehen.

Darüber hinaus werden den Gläubigern interessante "freiwillige" Umtauschofferten gemacht, die allesamt den Vorzug für die privaten Gläubiger haben, weniger schmerzhaft zu sein, als ein Verkauf zu Marktpreisen.

Wie bei solch großzügigen Politikgeschenken der griechische Schuldenstand nennenswert sinken soll, wissen nur unsere Regierungen. Bei den heutigen Beschlüssen ist nur eines gewiss: den Euro-Bürokraten ist nun ein 700 Mrd. Fonds anvertraut worden, die diese binnen kürzester Zeit zum Ankauf allerlei minderwertiger europäischer Schuldtitel einsetzen werden ("erweiterte Kompetenzen" - mir graut es!).

Bemerkenswert heute abend im TV die Kommentare in ARD und ZDF: "den deutschen Steuerzahler kostet es nichts!" Wow, welch ein Unsachverstand. Natürlich kostet es uns was, da eigentlich nun ca. 30% des auflaufenden EFSF-Anleihebestandes auf unsere Staatsschuld anzurechnen sind - mit einem entsprechenden "Gegenwert" an weitgehend wertlosen Schuldtiteln aus Griechenland und Co. Und was für Deutschland gilt, gilt auch für alle anderen EU-Ländern, die faktisch über die Solidarhaftung höhere Schulden aufgeladen bekommen. Wird dies deren Schuldenposition verbessern?

Und Griechenland wird so bestimmt NICHT kapitalmarktfähig, da die Schuldenlast nicht reduziert sondern kaschiert wird. Im Gegenteil: Griechenland wird so zum EFSF-Dauerkunden, zur Keimzelle der Euro-Gesamthaftung - nur ohne demokratische Legitimation.

Was werden die Märkte daraus machen? Nun, ganz sicher wird der Markt die Banken und Versicherungen feiern, denn die freuen sich über die unerwartete Wertaufholung und das klare Bekenntnis der Politik, diesen armen, verfolgten Berufsstand auch weiter zu verschonen. Man hat sich mal wieder etwas Zeit gekauft, mehr aber nicht. Denn natürlich löst diese Entscheidung kein Problem, im Gegenteil.

Uns würde es nicht wundern, wenn die Märkte nun relativ zügig auch für Portugal und Irland diese "Lösung" erzwingen. Dann sind die bereitgestellten EFSF-Mittel weitgehend verplant / aufgebraucht. Dann darf nichts, aber auch nichts mehr schiefgehen. Weder dürfen die Märkte in einen Bondkäuferstreik treten, noch darf die Weltwirtschaft in eine Rezession abgleiten. Wenn doch, platzt das Kartenhaus atemberaubend.

Wir sind in einem Ponzi-Schema gefangen und vielleicht hat die Politik es gerade noch einmal geschafft, ein paar neue Spieler in das System hineinzuziehen. Doch an der Wurzel, liebe Frau Merkel, haben Sie das Problem mit Sicherheit nicht angepackt. Ihren Beratern Ackermann & Co. haben Sie jedoch einen guten Dienst erwiesen. Dem "Deutschen Volke" wohl kaum.

Sunday, July 17, 2011

Keine Angst vor der Angst

US-Präsident Obama spricht von "Armageddon", die Deutsche Bank von Rückschlags-Risiken um die 30% am Aktienmarkt und in Europa brodelt der südeuropäische Renditekessel immer heißer. Die Bankaktien beginnen zu erodieren und der Bund-Future springt binnen Tagen auf 131 Punkte. Europa diskutiert, streitet und rechnet, die USA streiten, rechnen und diskutieren. Ungeachtet dieser Meldungen und Marktereignisse überkommt es den Anleger untypischerweise nicht mit Angst. Diesen Stimmungszustand versucht uns zwar die eine oder andere Zeitungsmeldung zu vermitteln, doch das Anlegersentiment spricht eine andere Sprache: Es fehlt trotz der Horror-Szenarien, die laut dikutiert werden, an Angst. Das sentix Sentiment ist gerade einmal neutral, was weder zur Nachrichtenlage noch zur Dimension der anstehenden Ereignisse passt. Ein Blick ins Jahr 2009 und 2010 liefert jede Menge Beispiele, wo durch weitaus weniger Dramaturgie mehr Angst aufkam. Warum fehlt diese heuer?

sentix Sentiment deutsche Aktien (grün) und DAX (blau)

Eine Ursache könnte darin liegen, dass die Investoren in ihrem Innersten wissen, dass es im Allgemeinen um die Werthaltigkeit von vielen Anlagen schlecht bestellt ist, ob Aktien, Renten, Währungen und auch um so mancher Immobilienanlage. Es fehlt an Alternativen, wo man mit seinem Geld hin muss. So entscheidet man sich für das geringere Übel, zudem noch Teile der Wirtschaft (Autobauer) in hellem Glanz erstrahlen. Das ganze Volumen in Gold zu stecken ist ebenfalls mit erheblichen Risiken verbunden, auch wenn das Gold als eine der logischten Anlagealternativen erscheint. Damit kommen die Anleger nicht an der Aktie vorbei, und hoffen dabei, dass ein Crash oder ein Armageddon nicht im Interesse aller sein kann. Die Politik wird es schon richten!
Unwohlsein bleibt
Die Anlegerseele lässt sich vielmehr mit einem Gefühl starken Unwohlseins beschreiben, das sich in der vom Anleger geäußerten mittelfristigen Zuversicht ausdrückt. Das Potpourri aus fehlender Angst und schwindender mittelfristiger Zuversicht lähmt die Anleger, große Entscheidungen zu treffen. Der Anleger scheint vielmehr mit sich und der Politik zu feilschen, ob das Ganze noch gut ausgehen kann. Die Folge ist, dass die Irritationswerte nach oben schnellen und sich immer mehr Anleger an die Seitenlinie bewegen, um den Ausgang zu beobachten. Damit steht ein großer Impuls am Aktienmarkt an, denn der Anpassungsbedarf ist hoch. Egal, wie sich die Politik entscheidet und welches Kursfeuerwerk die erwarteten "Rettungsbeschlüsse" verursachen mögen, eines scheint sicher: Das Ende der Krise ohne finale Angst kann nicht durch noch so große Staatseinfgriffe erkauft werden. Dies belegt die Finanzgeschichte mit vielen Beispielen. Ob QE 3.0, Anhebung der US-Schuldenobergrenze, Schuldenschnitte oder auch Eurobonds, alles sind Maßnahmen, die an den Kapitalmärkten zwar kurzfristig für Entlastung sorgen, aber gleichzeitig das Fundament für zukünftige Angst legen. Immerhin befinden wir uns im strategischen Kontext "in der schönsten Galgenfrist aller Zeiten" (Titel unseres Jahresausblicks 2011). Das "Finale Grande" wird unweigerlich kommen, ob kurzfristig oder auch danach.

Tuesday, July 12, 2011

VW-Stress am Bundesanleihe-Markt

Mit dem steilen Anstieg spanischer und vor allem italienischer Zinsen ist der Eindruck kaum noch zu unterdrücken, dass die Schuldenkrise vollends außer Kontrolle geraten ist. Neben Griechenland notieren nun auch die langfristigen Zinssätze von Portugal und Irland auf Ramschniveau, womit diesen Ländern der Kapitalmarktzugang entzogen wird. Gleichzeitig erweckt die Politik den Eindruck ratlos und zerstritten zu sein.
Für die Investoren ist dies eine ganz schwierige Situation. Mit Hilfe der sentix Sentimentanalyse können einige Problemfelder aufgedeckt und daraus Ideen zur weiteren Kapitalmarktentwicklung und zur eigenen Strategie abgeleitet werden.

Eine überraschende Entwicklung ist von den kurzfristigen Sentimentwerten zu vermelden. Diese sind trotz der Turbulenzen vom Freitag kaum gesunken. Die Anleger zeigen sich kaum beeindruckt vom Aufflammen der Euro-Schuldenkrise und den enttäuschenden US-Konjunkturdaten. Offensichtlich wollen die Anleger zwischen der "guten Konjunktur in Deutschland" und den Problemfeldern separieren. Das ist einerseits mit Blick auf die aktuell noch gute Konjunkturlage verständlich. Jedoch scheinen die Investoren zu übersehen, dass dauerhaft steigende Zinsen im restlichen Europa und eine immer größere Verunsicherung der Bevölkerung durch die Schuldenkrise letztendlich auch realwirtschaftliche Konsequenzen haben. Immerhin exportiert Deutschland noch immer am meisten in die EU und steigende Zinsen waren selten gut für die Wirtschaft.

Die Schuldenkrise treibt auch den Bund Future an. Hier kommen zwei wesentliche Faktoren zum Tragen. Einerseits wird in vielen Anlagegremien nun die Asset Allocation überdacht. Was einstmals als reines Zinsrisiko galt, ist nun Zins- und Kreditrisiko. Hier darf der immense Anpassungsbedarf nicht unterschätzt werden. Es handelt sich bei belgischen, französischen oder italienischen Anleihen nicht um Randinvestments, sondern um die Kerninvestments aller Investoren in den jeweiligen Ländern. Dieser Anpassungsprozess wird noch dadurch erschwert, dass die herrschenden Risikomodelle auf eine solche Entwicklung genauso wenig vorbereitet sind, wie die Investoren selbst, die nur in den wenigsten Fällen eigenes fundiertes Research zu diesen Kreditfragen betreiben. Hier müssen sich neue Heuristiken und Standards etablieren, was auch den einen oder anderen Anlagefehler mit einschließt.

Andererseits sehen wir aus der verhaltensorientierten Analyse Parallelen der Entwicklung im Bundesanleihemarkt mit der Entwicklung der VW-Aktien in 2008. Damals stiegen die VW-Kurse nicht nur wegen der Optionsgeschäfte von Porsche, sondern auch wegen eines institutionellen Anlagefehlers. Denn viele Profis hatten VW-Aktien schon bei Kursen um € 150 verkauft, da diese Aktie fundamental überteuert schien. Gleichzeitig erforderte die Finanzkrise eine Absicherung des Aktienbestandes, was viele durch Verkauf von DAX- oder EuroSTOXX-Futures taten. Damit wurde jedoch auch die VW-Aktie abgesichert (Indexmitglied), welche viele Investoren nicht mehr im Bestand hatten. Als dann die anderen Aktien fielen und VW stieg, waren diese Investoren doppelt gekniffen. Denn die Absicherung funktionierte nicht, da VW als hoch gewichteter Indexwert stieg und somit die Futures stabil blieben, gleichzeitig aber alle anderen Aktien im Wert verloren. Das Endergebnis war, dass letztlich dieser sogenannte "Hedge-Mismatch" ausgeglichen werden musste, mit dem Ergebnis, dass die VW-Aktie noch mehr stieg und die restlichen Aktien noch mehr fielen.

Bei den Bundesanleihen ist es derzeit ähnlich. Viele Investoren haben ihre Zinsrisiken über den Bund-Future-Markt reduziert, gleichzeitig besteht das Portfolio aber nicht nur aus Bundesanleihen, sondern auch aus Pfandbriefen und anderen Staatsanleihen. Wenn nun die Kurse dieser Staatsanleihen fallen und der Bund-Future als sicherer Hafen gesucht ist, funktioniert auch hier die Strategie nicht. Es entstehen doppelte Verluste, die Probleme eskalieren.

Dies sollte ein Anleger im Hinterkopf behalten, wenn er die derzeitige Kursentwicklung von Bundesanleihen bewertet. Fundamental mag diese Tendenz nicht nachvollziehbar sein, aber massive Fehlpositionierungen der Anleger sind in diesem Fall eine wichtige fundamentale Information.

Eignen sich Bundesanleihen dann als Investmentchance? Diese Frage kann man mit einer Gegenfrage beantworten. War VW bei € 300,-- ein Kauf? Unter ganz kurzfristigen, taktischen Gesichtspunkten kann eine solche Kursrallye erheblich weiter tragen. "Märkte können lange zu Übertreibungen neigen", wusste schon John Maynard Keynes. Der hohe Wert von +9 im sentix Overconfidence Index unterstreicht aber, dass diesen Chancen inzwischen ganz erhebliche Risiken entgegen stehen. Dieser Indikator schwankt zwischen +13 und -13. Nur zweimal in der mehr als 10jährigen sentix Historie wurde ein solch hoher Wert im Bund Future erreicht. Wer sich hier tummeln will, sollte es sich deshalb besser genau überlegen.

Eine Assetklasse scheint dagegen derzeit eigene Bahnen zu ziehen, das Gold. Ein intakter technischer Trend und eine abgeschlossene Marktkonsolidierung sind in Verbindung mit einem wieder ansteigenden mittelfristigen Sentiment gute Voraussetzungen für weitere Kursgewinne.

Sunday, July 10, 2011

Spreads "out of control"?

Die Entwicklung an den Spreadmärkten deutet auf Ungemach für die Kapitalmärkte hin, zumal diese offensichtlich von den Marktteilnehmern nur bedingt wahrgenommen wird. Wir stellen eine starke Tendenz der Anleger fest, zwischen der Euro-Schuldenproblematik und der Konjunktur zu separieren.


Zinsspread Spanien (grau) und Italien (orange) gegenüber Bundesanleihen

Der Markt stresst an dieser Stelle weiter und führt mit Italien ein weiteres Land in den Fokus. Die bisherigen "Rettungsversuche" der Politik mögen bei einem isolierten Problem "Griechenland" funktionieren, stossen aber bei weiteren Kandidaten Portugal und Irland (handeln beide auf Ramsch-Niveau; gleiches Niveau wie Griechenland im April!) oder gar Spanien / Italien auf massive Probleme.

Zu beachten ist die Rückkopplung dieser Trends auf die Interbanken-Situation:


iTraxx Subindex Banken (blau) und 10J Zinsen Spanien (orange)

Es bleibt dabei: bei der derzeit gewählten politischen Linie besteht die Gefahr, dass die Euro-Schuldenkrise außer Kontrolle gerät.

EUR-USD und Zinsdifferenzen


EUR-USD (blau) und Zinsdifferenz 10J Bundesanleihen vs. 10J Treasuries (grün), 2J Laufzeit (orange)

EUR-USD könnte über die Entwicklung der Zinsdifferenzen unter Druck kommen. Besonders wichtig sind die Differenzen der 2jährigen Anleihen (orange), während die 10jährigen Differenzen weniger einen direkten Einfluss haben, sondern aufgrund ihres Vorlaufs für den gesamten Zinsmarkt Vorwarncharakter haben!

Wednesday, July 6, 2011

sentix-Sonderumfrage zum Thema Griechenland

Letzte Woche haben wir in Kooperation mit dem Handelsblatt eine Sonderumfrage zu Griechenland durchgeführt. In der heutigen Ausgabe des Handelsblattes findet sich dazu eine ausführliche Kommentierung.

Die Detailergebnisse können hier eingesehen werden:
http://www.sentix.de/premium/sentix_hb_griechenland_sonderumfrage_30062011.pdf

Friday, July 1, 2011

Euro-Bonds durch die Hintertür

Stell Dir vor, die Euro-Bonds werden eingeführt und keiner kriegt es mit! Investoren rund um den Globus begrüßen die "freiwillige" und "substantielle" Beteiligung des privaten Sektors an der Lösung der Griechenland-Krise. Solche "Beiträge" leisten die Banken aber gerne. Ein Essay über einen unglaublichen Vorgang.

Was genau wurde vereinbart: Fällige griechische Anleihen werden "planmäßig" zurückgezahlt. Den Erlös von 100% des Nennwertes behalten die Banken zu 30% und die restlichen 70% investieren die Banken "freiwillig" (deshalb braucht es auch eine Vereinbarung ...) wieder in Griechenland-Anleihen mi einer Laufzeit von 30 Jahren. (1. Nebenrechnung: 30% müssen also schon einmal von den anderen EU-Ländern finanziert werden)

Von diesen 70% müssen die Griechen 20% in eine Zweckgesellschaft (auch SIV genannt; das waren die Konstrukte, die uns schon einmal fast an den Rand des Finanzcrashs gebracht haben) einbringen, die die Mittel in EFSF-Bonds (also Bonds der Euro-Gemeinschaft) mit 30 Jahren Laufzeit investiert. Diese Bonds stehen den Banken in 30 Jahren als Garantie zur Verfügung, damit diese dann 100% Ihres Nennwertes zurückerhalten. Exkurs: so funktioniert der Zinsenzins. (2. Nebenrechnung: diese 20% werden ebenfalls von den EU-Ländern finanziert, da die Griechen ja kein Geld haben, um eine Zweckgesellschaft zu dotieren)

50% der fälligen Anleihen sind damit schon einmal unmittelbar EU-garantiert. Da man allgemein die Auffassung vertritt, dass im Pleite-Fall die Gläubiger Griechenlands mindestens auf 50% der Forderung verzichten müssten, ist dieses Minimalziel aus Bankensicht schon einmal gesichert. Ab jetzt wird es Tag für Tag nur besser!

Auf Verfall gerechnet ist nämlich die gesamte (!) derzeitige Nominalschuld Griechenlands, welche die Banken in ihren Büchern haben, direkt durch die EU-Staaten (30% Sofort-Rückzahlung) oder durch EFSF-Bonds garantiert. Würde dieses Schema in den nächsten Jahren "planmäßig" vollzogen, ist praktisch fixiert, dass sich die komplette Griechenland-Schuld in eine Euro-Gemeinschaftsschuld wandelt! Der Start in die Gemeinschaftsfinanzierung ist damit besiegelt!

Welches Risiko tragen dann die Banken noch: nun, faktisch nur noch das Risiko, dass sie die laufenden Zinszahlungen nicht erhalten. Es ist aber natürlich für einen Staat bzw. Schuldner immer leichter, nur die fälligen Zinsen zu erwirtschaften, als auch noch die anstehenden Fälligkeiten.

Beispiel: wenn im August 2011 eine Anleihe im Volumen von 10 Mrd. Euro zur Zinszahlung ansteht, beträgt der Finanzierungsbedarf bei 5% Kupon € 500 Mio. Muss die Anleihe auch zurückgezahlt werden, sind € 10.500 Mio. aufzubringen. Wollte ein Staat auf Sicht von 10 Jahren die Rückzahlung "sichern", müsste er in seiner jährlichen Budgetrechnung statt € 500 Mio. nun ca. € 1.500 Mio. erwirtschaften (1/10tel des Kapitals plus Zinsen). Es versteht sich von selbst, dass es den Griechen selbst bei schwächerer Wirtschaft sehr viel leichter fallen dürfte, nur die Zinsen zu erwirtschaften, als auch noch eine Rückzahlung zu sichern. Um die Rückzahlung bei diesem als "Pariser Modell" genannten Verfahren müssen sich die Griechen nun jeodch nicht mehr sorgen. Diese erfolgt nun durch die Euro-Staaten, welche ja die dazu vorgesehenen 20% bereitstellen!

Die Banken tragen deshalb faktisch kein Risiko mehr. Im Gegenteil. Sie sollen bei einer "Besserung" der griechischen Wirtschaft auch noch durch steigende (!) Zinszahlungen belohnt werden. Sollte sich die fundamentale Entwicklung in Griechenland tatsächlich bessern, würden die Banken doppelt belohnt. Ihre Anlagen werden sicherer und die Erträge steigen!

Eigentlich sollte es sich umgekehrt verhalten: je höher das Risiko, desto höher die Rendite. Ackermann & Co. haben es geschafft, dieses Prinzip erneut umzukehren! Ein unglaublicher Vorgang, dreist - mir fehlen fast die Worte. Aber war wirklich anderes zu erwarten (siehe "Dümmer geht's nimmer")?

In gewisser Weise ist es deshalb sogar verständlich, dass die Märkte (zunächst) freundlich reagieren. Wenn Geld von uns allen zu ein paar Wenigen privatisiert wird, dann ist Feierlaune verständlich. Sind unsere Politiker so blind, das nicht zu erkennen? Natürlich steht viel auf dem Spiel, natürlich wäre eine Pleite Griechenlands fatal. Aber ist der derzeit gewählte Weg die Lösung? In jedem Fall ist es ein ungeheuerlicher Eingriff in die Eigentumsverhältnisse von allen Bürgern! Wir sind in einem Ponzi Schema gefangen und als Wirtschaftsfachmann ist es ein schmerzhafter Vorgang, Tag für Tag mit anzusehen, wie sich unsere Wirtschaftsordnung mehr und mehr auflöst - und vor allem: dass dies so vorhersehbar geschieht (siehe sentix Jahresausblicke 2010 und 2011) - es läuft erschreckend "planmäßig". Für die Banken und die Finanzmärkte die "schönste Galgenfrist aller Zeiten" (Titel des sentix Jahresausblicks für 2011)

Doch das wird Ihnen der Banken-Volkswirt Ihres Vertrauens nicht sagen ...

Wie immer bleiben aus verhaltensorientierter (Behavioral Finance) Sicht aber ein paar Fragen offen, die zum Spielverderber für "Retter" und "Gerettete" werden könnten :
  • Was passiert, wenn der griechische Spar-Eifer nachlässt und / oder die Wirtschaft weiter schwächelt und Griechenland noch nicht einmal die Zinsen erwirtschaft?
  • Was passiert, wenn eine der "bösen" Rating-Agenturen die Aktion doch als Default wertet?
  • Was passiert, wenn die Märkte diese "Lösung" nicht nur für Griechenland, sondern auch für Portugal und Irland einfordern? Diese Bonds liegen ja auch unter Wasser und können aus Sicht der Banken ebenfalls "Sozialhilfe" vertragen. Wollen wir dieses Schauspiel der letzten Wochen und Monate immer wieder wiederholen?
  • Muss man Griechen-Bonds jetzt kaufen? Die Anleihen mit Fälligkeit Mai 2013 handeln noch immer bei Renditen von 25%. Gilt dieses verlockende Angebot eigentlich nur für Banken? Ok, die Verhandlungen werden immer nur mit einer kleinen, ausgewählten Elite im Hinterzimmer geführt, aber die Ergebnisse gelten für alle? Was ist mit den Klein-Investoren? Selbst wer nur € 1.000,-- dort investiert hat (wie zum Beispiel unser Ex-Finanzminister Eichel - Sie erinnern sich an die Handelsblatt-Rettungsaktion und unseren offenen Brief an Gabor Steingart, bei der unser "Eichel" seine ersten Investmenterfahrungen machte?), würde, wenn er sein Geld nicht zurück bekäme, ein Default-Ereignis auslösen
  • Würde jemand ernsthaft daran glauben, dass die vorgestellten "Maßnahmen" wirklich eine Rettung Griechenlands bedeuten, müsste man diese Bonds massiv kaufen, jedoch nicht (!) an der freiwilligen Lösung teilnehmen! Das wäre ein Geschäft. Oder deuten die Renditesteigerungen bei den Retter-Staaten darauf hin, dass durch diesen Deal alle in die Abwärtsspirale gezogen werden?
  • Gibt es noch irgendwo einen Politiker, dem die Systemtreue nicht so wichtig ist wie seine Verantwortung für Freiheit, Eigentum und Demokratie? Wenn ja: es wird Zeit zu handeln!

Intelligenz und gesunder Menschenverstand werden wohl nicht mehr von alleine Einzug in Regierungshandeln halten. Es wird deshalb Zeit, dass die Bürger endlich aufwachen und ein klares NEIN zu solcher Politik sagen. Der Souverän, der Eigentümer dieses Landes, ist gefordert!

Mein Appell an alle Leser: lassen Sie uns etwas gegen diesen Wahnsinn unternehmen. Ein erster Schritt könnte es für Sie sein, sich an dieser Petition zu beteiligen. Kontaktieren Sie Ihren Wahlkreis-Abgeordneten, lassen Sie uns Druck aufbauen, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Nie zuvor hatte ich das Gefühl, dass unsere Freiheit, unser Eigentum, unsere Demokratie und unsere Volkssouveränität so sehr in Gefahr sind, wie heute!