Thursday, September 15, 2011

Mogelpackung "Blue und Red Bonds"

Die Idee der Eurobonds versucht ein Comeback. Offensichtlich schert es manche Politiker und Medien überhaupt nicht, dass selbst das regierungsfreundliche Bundesverfassungsgericht solche Gedankenspiele verbietet. Warum also wird immer wieder diese Leier gespielt?

Die Probleme und die Ratlosigkeit von Politikern und Ökonomen muss groß sein, dass man immer wieder diesen Weg als Lösung präsentiert. Eine undemokratischere und marktfernere Lösung kann man sich nicht vorstellen.

Eine Spielart, die immer wieder genannt wird um Eurobonds weniger gefährlich erscheinen zu lassen, ist diese nur zur Finanzierung der Staatsschulden bis zu 60% des BIPs (der ehemaligen Maastricht-Grenze) einzusetzen. Das Problem aller Krisenländer sind jedoch nicht die ersten 60% der Schulden, sondern die Gesamthöhe bzw. der über 60% hinausgehende Teil. Ein Schuldner haftet immer für alle Schulden und es ist egal, welcher Teil der Schulden am Ende das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die so genannten Blue Bonds, also die gemeinschaftlich finanzierten Bonds, hätten vielleicht niedrigere Zinsen, aber die Red Bonds, also die Länder-individuellen Anleihen, wären umso teurer. Zudem ließe sich eine Haftung kaum auf die ersten 60% begrenzen, da im Falle einer drohenden Überschuldung und eines Ausfalls der Red Bonds die in Solidarhaftung stehenden Länder zur Hilfszahlung genötigt wären, um die Haftungsfall auch für die Blue Bonds zu verhindern. (Stichwort: sunk cost effect)

Wir betrachten diese Diskussion als geschicktes Ablenkungsmanöver. Denn würde man diesem Konstrukt zustimmen, würde Griechenland für Jahre erstmal alles was zu refinanzieren ist, als Blue Bond deklarieren. Vermeintlich löst sich damit die Schuldenkrise, da für ca. 2-4 Jahre gar keine Red Bonds an den Markt kämen. Doch außer das Druck vom Schuldner weicht, wäre nichts erreicht. Das dicke Ende käme, sobald die 60%-Quote ausgeschöpft ist und die Red Bonds zur Platzierung anstehen. Cui bono (wem nutzt es?) - Eurobonds nutzen nur den schlechten Schuldnern, definitiv tragen sie nicht zur nachhaltigen Gesundung in der Überschuldungskrise bei.

Ein klares NEIN zu Eurobonds!

Pinocchio des Tages

Vor einigen Monaten hat das Handelsblatt eine neue Rubrik geschaffen, den "Pinocchio des Tages". Ziel der Rubrik ist es, historische Statements von Politikern und Prominenten mit der tatsächlichen Entwicklung zu kontrastieren und so den Sender der Botschaft der Lüge oder Unkenntnis zu überführen. Heute wurde dem Pimco-Chef Bill Gross eine lange Nase gezeigt.

Mich nervt diese Rubrik. Wir alle können, dürfen und müssen manchmal die eine oder andere Information für uns behalten oder ein "Ablenkungsmanöver" starten. Das gehört zur Politik wie zur Diplomatie. Schon immer war der Grundsatz "cui bono", wenn es galt Statements anderer einzuschätzen, hilfreich.

Gerade im Fall von Bill Gross finde ich aber solchen Tadel, obwohl wir selbst schon damals unsere Bedenken an seiner Marktmeinung äußerten, unangebracht. Er hat eine Markterwartung geäußert und hat dafür auch die Portfolioverantwortung. Der Markt liefert ihm das objektive Feedback - mal gewinnt man, mal verliert man. Viele andere, die Markterwartungen äußern, setzen ihre Meinung nicht am Markt um und entziehen sich damit dem einzig objektiven Maßstab.

Ein Pinocchio fehlt aber in dieser Rubrik, bevor diese eingestellt wird: der Handelsblatt Chefredakteur Gabor Steingart selbst. Erinnert sei hier nur an seine "genialen" Statements zur Solidaraktion "Griechenland". Wie viel Geld wurde von den Anlegern verloren, die dem weisen Ratschluss des Handelsblatt-Chefs gefolgt sind? Wie viele Aussagen erwiesen sich schon als falsch oder haltlos? Die Nase wächst von Woche zu Woche - und das letzte Hemd wird bald gegeben.

Saturday, September 10, 2011

So denkt die Politik

Bekanntermaßen halte ich nicht viel von der derzeitigen Problemlösungskompetenz unserer Politiker. Und der Gedanken an die letztlich wohl zu verlockende Lösung "Euro-Bonds" lässt mich erschaudern.

Deshalb beteilige ich mich derzeit an so mancher Webinitiative, um unseren Politikern mitzuteilen, dass ich das nicht gut finde. Auf eine dieser Online-Mail-Petitionen erhielt ich heute eine Antwort von der Partei der Grünen, übrigens die einzigen, die sich bisher auf diverse Mails von mir meldeten. Diese Mailantwort, zumal es sich um eine Standardantwort handelt, möchte ich hier wiedergeben. Ich tue dies, um allen Lesern nochmals die Dringlichkeit von außerparlamentarischer Opposition in dieser Frage nahe zu bringen. Denn offensichtlich kann oder will die Politik das Problem nicht verstehen - und deshalb wird es Beschlüsse geben, die für uns alle - besonders aber für unsere Kinder und Enkel - folgenreich und schwerwiegend werden dürften.

Ich habe mir erlaubt im Brief, farblich gekennzeichnet, meine Sicht der Dinge anzumerken.


Sehr geehrter Herr Hübner,
vielen Dank für Ihre E-Mail. Sie haben Recht - die Ereignisse in der Eurozone und die Entwicklung der Verschuldungs-, Finanz- und Wirtschaftskrise sind besorgniserregend. Der wahrscheinlich größte Fehler der Bundesregierung ist, dass sie den Menschen nicht genug erklärt, was auf dem Spiel steht. So entstehen auch Gerüchte, die nicht der Wahrheit entsprechen.

Man könnte auch sagen: die Politik verfehlt derzeit ihr Ziel, die Menschen weiter an der Nase herumzuführen. Immer mehr Menschen spüren, dass etwas nicht mehr stimmt in Politik und Gesellschaft. (Anm. MH)

Punkt 1: Der ESM bedeutet keine Übertragung von nationalen Haushaltsrechten an Brüssel

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) stellt Kredite für Staaten zur Verfügung, die zeitweise Schwierigkeiten haben, am Kapitalmarkt Geld zu bekommen. Sollte es absehbar sein, dass der Staat seine Kredite nicht zurückzahlen kann, darf der ESM kein Geld mehr geben und der Staat muss Insolvenz anmelden. Dieses Insolvenzrecht wird gerade auf europäischer Ebene erarbeitet ist die Garantie dafür, dass der ESM  kein Fass ohne Boden wird. Ein Fass ohne Boden ist er auch deswegen nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt ist. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden.
"Sollte es absehbar sein ..." - solche Formulierungen liebe ich. Zum einen unterstellen diese eine verlässliche Prognostizierbarkeit, die meist eben nicht gegeben ist. Oder warum tappen die meisten Ökonomen und Politiker bezüglich künftiger Wirtschaftsentwicklungen meist im dunkeln? Zum anderen kann mit Hinweis auf eine "günstige Prognose" jeder politische Wille begründet und damit die Nachschusspflicht abgeleitet werden. Tür und Tor sind der Willkür geöffnet. (Anm. MH)

Punkt 2: Der ESM enthält verbindliche Regeln zur Beteiligung von Banken
Im ESM-Vertrag ist festgelegt, dass ein überschuldeter Staat erst dann Kredithilfen aus dem ESM bekommt, wenn die privaten Gläubiger  (zum Beispiel Banken) beteiligt werden. Das ist richtig, denn wer Wertpapiere eines Landes kauft und Zinsen kassiert, muss auch das Risiko eines Ausfalls tragen. In den vorgesehenen Klauseln zu einer möglichen Umschuldung (Collective Action Clauses), die nun bis Ende des Jahres ausgearbeitet werden sollen, wird ein Verfahren zur Beteiligung des Privatsektors festgeschrieben. Solch eine verbindliche Insolvenzordnung ist ein zentraler Schlüssel zur Stabilisierung der Eurozone. Zudem muss der ESM gegenüber anderen Gläubigern - so wie im ESM-Vertrag bereits vorgesehen - im Falle eines Bankrotts des betroffenen Staates bevorzugt werden. Damit haben Steuergelder immer Vorfahrt vor privaten Geldern. 

Wäre es nicht besser, die Insolvenzordnung wäre schon bekannt und Bestandteil des Gesetzes? Wer verhindert Aufweichungen? (Anm. MH)

Punkt 3: Die umfassende Beteiligung des Deutschen Bundestages an den Entscheidungen des ESM ist möglich
Die Regierung zankt seit Monaten mit ihren Fraktionen, wir Grüne sagen wie es geht: Die bereits bestehenden Gesetze über die Mitwirkung und Beteiligung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der EU (EUZBBG und IntVG) müssen als Vorbild für die künftige Parlamentsbeteiligung beim ESM herangezogen werden:  Art und Höhe der deutschen Beiträge werden durch Gesetz bestimmt und können nur nach einem Änderungsgesetz verändert werden. Ebenso muss der Bundestag zustimmen, wenn dem ESM weitere Handlungsinstrumente zur Verfügung gestellt werden sollen. Darüber hinaus soll die Bundesregierung vor jeder Anwendung des Rettungsschirms Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Der Bundestag muss sich zu ESM-Aktionen positionieren, ein Schweigen reicht nicht aus!

Wie verhält es sich dann mit den Gouverneursratsentscheidungen im ESM, die für alle Regierungen verbindlich sind? Kann der Bundestag auch die Regierung zwingen, den ESM zu verlassen?

Unterm Strich wird die Grüne Bundestagsfraktion der Errichtung des ESM zustimmen. Wir glauben, dass er hilft, die Eurozone zu stabilisieren und den Weg für mehr europäische Integration bereitet. Das kostet Geld und Mut. Aber die Kosten des Nichthandelns wären größer. Viel zu eng ist inzwischen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten, als dass ein Herausbrechen einzelner Staaten ohne massiven Schaden für alle Beteiligten möglich wäre. Und politisch brauchen wir eine starke und handlungsfähige EU, um den globalen Herausforderungen begegnen zu können. Deutschland allein hat in einer globalisierten Welt auf Dauer kein Gewicht – wir brauchen Europa. Deshalb kann die Antwort auf die Krise nur heißen: mehr Integration.

Nichthandeln ist in der Tat keine Option. Wie hoch die Kosten aber für die Euro-Rettung ausfallen, weiß ebenfalls niemand. Die CDU-Fraktion hat in ihrem Gesetzentwurf für den EFSF beispielsweise ausgeführt, dass die mittelfristigen Kosten nicht bezifferbar sind. Man könnte auch sagen: es kann ein Fass ohne Boden werden. Überhaupt ist feststellbar, dass fast ausschließlich politisch und nicht ökonomisch argumentiert wird. Politisches Handeln, welches zu ökonomisch nicht tragfähigen Konsequenzen führt, wird aber letztlich genau daran scheitern. "It's the economy, stupid"

Mehr Integration heißt für die Grüne Bundestagsfraktion: Der ESM kann nur ein Element der finanzpolitischen Zusammenarbeit in Europa sein. Wir brauchen einen starken Stabilitäts- und Wachstumspakt mit klaren Regeln zur Vermeidung von übermäßiger Verschuldung, eine Wirtschaftsregierung, die Fehlentwicklungen in einzelnen Staaten frühzeitig erkennt und eine Kultur finanzpolitischer Verantwortung. Dafür muss sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen – ohne Wenn und Aber.
Mit freundlichen Grüßen

Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Info-Service

Ich finde ja schon einmal gut, dass die Fraktion der Grünen überhaupt geantwortet hat. Andere Parteien und Politiker, die die gleiche Mail von mir erhalten haben, haben sich bislang überhaupt nicht gerührt. Jeder Leser kann sich ja eine eigene Meinung hierzu bilden.


Monday, September 5, 2011

Gefangenendilemma

Selten kann man Erkenntnisse der Wissenschaft in Reinkultur in der Praxis beobachten. Eine solche seltene Gelegenheit bietet sich uns mit dem derzeit laufenden "freiwiliigen" Umtauschangebot für griechische Anleihen.

Die Spieltheorie verfolgt die Absicht, Entscheidungssituationen mathematisch exakt zu beschreiben, die von Unsicherheit geprägt und von den Handlungen anderer am Spiel beteiligter Personen abhängig sind. Dabei wird jedoch unterstellt, dass jede beteiligte Person sich subjektiv rational, also als "homo oeconomicus" betätigt. Für die Spieltheorie wurden bereits viele Nobelpreise vergeben, unter anderem an John Nash.

Ein sehr bekanntes Problem der Spieltheorie ist das "Gefangenendilemma". Vereinfacht gesagt hat es folgenden Versuchsaufbau:
  • Zwei Gefangene sitzen im Knast (in Einzelhaft) und sind beide von hohen Strafen bedroht
  • Sie erhalten nun die Wahlmöglichkeiten:
    - wenn keiner gesteht, erhalten beide 2 Jahre Haft wegen kleinerer Delikte
    - wenn beide die Tat zugeben, erhalten beide 4 Jahre Haft für die Tat mit Belohnung des Geständnisses
    - wenn einer den anderen verrät und der andere es nicht tut, erhält der Verräter nur 1 Jahr Haft, der andere 6 Jahre Haft (Höchststrafe)
  • Wie würden Sie sich entscheiden, wenn Sie einer der Gefangenen wären?
Unabhängig von der tatsächlichen Schuld oder Unschuld wäre es für die Gefangenen besser, zu schweigen, da beide nur 2 Jahre Haft erhielten (kollektives Optimum), während subjektiv ein Verrat unter Umständen die besser Lösung wäre.

Hier kommt der "homo oeconomicus" an seine Grenzen und es steht die Abwägung zwischen Egoismus und Koopeation / Altruismus an.

Fasst man das Spiel in etwas andere Worte, steht genau dieses Problem nun für alle Anleger in griechischen Bonds an. Schauen Sie mal:
  • Die Banken sitzen im Knast (griechische Bonds, Einzelhaft) und sind von einer schweren Strafe bedroht (Totalausfall / Hair Cut)
  • Sie erhalten nun ein Angebot von Griechenland
    - wenn keiner mitmacht, droht der Totalausfall (= kollektives Geständnis)
    - wenn alle mitmachen, gibt es einen Haircut von 21% (= kollektives Schweigen)
    - wenn eine Bank egoistisch ist und nicht mitmacht, aber genügend andere (mind. 90%) mitmachen, kann die egoistische Bank auf vollständige Rückzahlung hoffen, während die kooperierenden Banken ihren 21% Hair cut erhalten und relativ schlechter wie die egoistische Bank performen.
  • Wie würden Sie entscheiden?
Eine interessante Frage, denn wenn genügend große Anleger kooperieren, kann es für einzelne, egoistische Anleger sehr vorteilhaft sein, nicht mitzumachen. Andererseits droht das ganze Paket zu scheitern, wenn zu viele sich nicht kooperativ verhalten.

Wissentlich oder nicht haben die Politiker im Falle Griechenlands ein perfektes Gefangenendilemma aufgebaut und wir werden schon in Kürze erfahren, wie viel Egoismus und Kooperation bei Großanlegern vorhanden ist.