Sunday, August 28, 2011

Ihr Greenback, Herr Greenspan

Vor einigen Tagen fühlte sich Herr Greenspan berufen, das Auseinanderfallen des Euros zu prognostizieren. Die Medien schenken genau der Person Gehör, die sehr starken Anteil an den Finanzmarkt-Problemen trägt. Als Greenspan im Amt war, klebten die Märkte an seinen Lippen wie ein Yunkie seinem Dealer. Jetzt gibt genau der Mann Empfehlungen an die Märkte, welche er zuvor über Jahre hinweg mit viel zu niedrigen Zinsen, mit geduldeten Kreditverpackungen übelster Qualität und als Beisteher exzessiver Schuldenexzesse zu dem gemacht hat, was sie nun sind. In diesen Tagen sollten sich vor allem diejenigen, welche dem "Maestro" erneut Gehör schenken, vielmehr daran erinnern, woher die Kredit- und Finanzkrise einmal herrührte, woher die Firmen stammen, welche ihr AAA auf fragwürdige Kreditpakete drückten und warum die Banken und Märkte in 2007/2008 und auch heute in Schieflage geraten sind und damit die Staaten in Bedrängnis gebracht haben. Sicher ist der Euro kein Idealkonstrukt, aber es gibt global gesehen schlechteres Papiergeld. Dies sollte der US-Notenbänker a.D. zur Kenntnis nehmen!
Denn unseres Erachtens steht beim US-Dollar eine neue Abwertungsrunde an. Die sentix-Neutrality Indizes zu EUR/USD befinden sich auf einem äußerst hohen Niveau und kündigen einen neuen Trendimpuls an. Der Optionsmarkt weiß eine Antwort darauf zu geben, wohin die Reise geht: Die Risk-Reversals zeigen eine eindeutige Richtung pro Euro an (siehe Grafik).
Was glauben Sie, Herr Greenspan, wenn der US-Dollar in Folge des QE 3.0 das Ventil für den internationalen Anleger darstellt, um seinen Unmut zur US-Politik Luft zu verschaffen? Wir gehen davon aus, dass der Markt sich bereits entschieden hat, denn der Preis als einzig objektive Größe hat charttechnisch gesehen bereits ein Zeichen gesetzt. Der US-Dollarindex DXY (siehe Grafik 2) spiegelt dies als Basket zu den  Hauptwährungen wider, der technisch eine Konsolidierung nach der anderen abarbeitet und zum nächsten Tauchgang ansetzt. Vielleicht sollte sich der Greenspansche` Scharfsinn mehr mit den eigenen grünen Banknoten auseinandersetzen, als sich mit anderen Fragestellungen beschäftigen, welche von den eigenen Problemen ablenken sollen. Dies würde aus Europäischen Sicht dem einstigen Krisenverursacher besser zu Gesicht stehen.

Tuesday, August 16, 2011

Ein klares NEIN zu Euro-Bonds!

Schlägt man heute den Blätterwald auf oder verfolgt die Berichterstattung bei den Öffentlich-Rechtlichen sind plötzlich Euro-Bonds salonfähig geworden. Da weder Politiker noch die Eliten des Landes in der Lage sind, konzeptionelle Antworten auf die Verschuldungskrise zu finden, darf es fast schon nicht mehr verwundern, wenn man den vermeintlich "leichten" Weg geht und nun den Euro-Bonds Tür und Tor öffnet. Wie willfährig die Medien sich dabei zu unkritischen Befürwortern machen lassen, ist skandalös. Beim Staatsfernsehen darf es einen dagegen weniger wundern.

Dieser Weg ist jedoch falsch und es wird Zeit, massiven Widerstand gegen diese Entwicklungen zu organisieren!

Wir waren vor Wochen schon weiter, als Konsens herrschte, die Schulden seien zu hoch und müssten abgebaut werden. Diesen Vorgang jetzt abzubrechen und damit die Schulden auf alle zu verlagern, wird nur zwei Effekte haben:
  • Die Bonität Deutschlands wird geschwächt und deutliche Zinssteigerungen für Bundesanleihen wären die Folge. Die notwendige Schuldendisziplin wird so nicht hergestellt und nach einiger Zeit (genauer: in der nächsten Rezession - die schon unterwegs ist!) wird die Tragfähigkeit des Gesamtkonstruktes in Frage gestellt. Wir alle zahlen demnach höhere Zinsen für nichts.
  • Da dann alle Euro-Staaten in einem Boot sitzen, dürfte die EZB letztlich á la FED zu offenem QE übergehen und damit die Notepresse nachhaltig in Gang setzen - mit absehbaren Folgen für Wohlstand und Ersparnisse der Bürger.
Unglaublich, rechtswidrig, unverhältnismäßig und nicht akzeptierbar - mit kurzen einfachen Worten:

NEIN zu Euro-Bonds!

Friday, August 12, 2011

Leerverkaufsverbot - schon wieder nur Symbolpolitik

Gestern mittag ging es bereits als - in Zukunft strafbares? - Gerücht im Markt herum: die Politik will die böse Spekulation eindämmen und Leerverkäufe verbieten! Das macht den bösen Spekulanten aber Angst ... zumal sowieso gefragt werden kann, ob die Spekulanten das Problem sind oder die "normalen" Portfolioinvestoren, die jetzt die Panik ereilte.

Wir schreiben das Jahr 2008. Die Börsenwelt ist in Aufruhr und Bankaktien fallen ins Bodenlose. Schnell sind Leerverkäufer als Schuldige ausgemacht und diese Geschäfte werden verboten. Seit dem ist dies mehrere Male passiert und teilweise, zum Beispiel in Deutschland, besteht es bis heute fort!

Nur gebracht hat es nie etwas. Die Aktien fielen trotzdem so lange es an ihnen war zu fallen, bestenfalls etwas langsamer. Zumal diese Verbote, wie auch jetzt, in der Regel nur zeitlich befristet sind. Die Spekulation findet immer ihren Weg, so lange wie wir insgesamt noch freie Märkte haben.

Wenn man die Leerverkäufe als eine Quelle des Übels ausgemacht hat, wäre es m.E. wesentlich konsequenter nicht das Geschäft, sondern die Quelle für die leerzuverkaufenden Aktien auszutrocknen: die Wertpapierleihe! Denn viele Fondsgesellschaften und institutionelle Anleger verleihen ihre als Dauerbestand gehaltenen Aktien gegen sehr kleines Geld und wundern sich dann, dass diese für solche Operationen benutzt werden. Überhaupt würde mich interessieren, ob es Anleger von Investmentfonds wissen, dass die Fondsgesellschaften ihres Vertrauens ihre Aktien für so etwas hergeben und meist die Hälfte der Leiheerträge für sich als Gebührenquelle nutzen - und der potentielle Schaden zu 100% beim Anleger verbleibt.

Dies trifft im Übrigen auch auf die beliebten ETFs zu, die dieses Instrument ausgiebig und nur wenig zum Kundenvorteil nutzen. Denn die Leiheerträge dienen nur dazu, höhere Gebühren in ETF durchsetzen zu können.

Erneut zielt die Symbolpolitik in die falsche Richtung. Wie soll man da Vertrauen entwickeln.

Thursday, August 11, 2011

Manisch depressiv

Die Lust am Untergang beherrscht die Börsen-Szene. Diejenigen, die es haben kommen sehen - und davon gab und gibt es einige - beschwören das heilige Gold und sehen ihre Stunde gekommen.

Dagegen sind so einige Mitglieder der Finanzindustrie nur mit dem Zusammenkehren der Scherben beschäftigt, die der Finanz-Tsunami hinterlassen hat. Sie werden zwar auch nach dieser Erfahrung nicht die Einsicht haben, dass ihr eigenes Tun Bestandteil des Problems ist, doch in diesen Stunden geht es für viele - für uns alle! - nur noch um Schadensbegrenzung und vielleicht bei ein paar Wenigen sogar schon ums finanzielle Überleben.

Und was macht mein Nachbar? Er hat Urlaub, baut sich eine neue Terrasse und genießt sein Glück als frisch gebackener Vater.

An solchen Tagen kommt mir immer ein Spruch in den Sinn, den wir uns in der Schule oft gegenseitig erzählten und der aus der Umweltbewegung entstammte:

"Erst wenn ihre alle Bäume gefällt, alle Fische gegessen und alles Land vergiftet habt, werdet ihr Erkennen, dass man Geld nicht essen kann."

Was rät man dem manisch depressiven Finanzmarkt? Schaut euch um, löst euch von den Schirmen, genießt die Sonne, die sich heute endlich mal wieder zeigt. Bekommt den Kopf frei und versucht Abstand von den Märkten zu bekommen. Wenn das nicht hilft, muss die Politik "den Stecker ziehen".

Wednesday, August 10, 2011

Das wird auch dem Bären nun unheimlich

Bevor ich meine heutigen Gedanken wieder vor Ihnen ausbreite, möchte ich Sie ein wenig mit Statistik verwöhnen. Der DAX verlor heute den elften Tag in Folge. Dies ist wahrlich ein seltenes Ereignis. Genau genommen konnten wir in der DAX-Historie seit 1959 genau vier Serien finden, die länger oder gleich lang waren.

Zum einen 1966. Damals verlor der DAX 11 Tage in Folge mit dem Tiefpunkt am 22.06.66. Diese Serie markierte den Endpunkt einer mehrmonatigen Baisse, welche den DAX rund 25% kostete. In der Serie selbst verlor der DAX 7,5%.

Die zweite Serie 1970 schaffte 13 Verlusttage (!) in Folge und endete am 27.05.70 (Vietnam-Proteste, die Beatles trennten sich). Diese Phase hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem aktuellen Chartbild des EuroSTOXX, also einer gewissen Schwäche schon vor dem Abriss. In der Serie verlor der DAX rund 16,5%.

Die dritte und längste Serie mit 14 Verlusttagen war 1971 zu beobachten und endete am 22.09.71. Diese Serie war die mittlere Welle einer rund 10-monatigen Baisse. In der Serie verlor der DAX ca. 8,5%. Wäre nicht ein kleiner Plus-Tag dazwischen gewesen, wäre die Serie 7 Tage (!) länger gewesen bei einem - fast schon bescheiden anmutenden - Gesamtverlust von ca. 11%. Das waren damals noch "langsame" Zeiten.

Die vierte Serie fand im "3 Päpste-Jahr" 1978 statt und endete nach 11 Verlusttagen am 25.04.1978. Obwohl es so lange abwärts ging, verlor der DAX nur rund 5% am Ende eines längeren, volatilen Seitwärtstrends.

Dieser kleine Exkurs zeigt, wie außergewöhnlich die aktuelle Serie von 11 Verlusttagen bei einem Gesamt-Minus von 24% ist. Der heutige Tag reiht sich - gemessen an der Kursveränderung über 11 Tage - in eine Kette unrühmlicher Börsentage ein:
  • 26.10.1987 (87er Crash)
  • 24.09.2001 (Wiedereröffnung der Börse nach dem 11. September 2001)
  • 22.07.2002 (Enron-Skandal und Höhepunkt der Tech-Blase)
  • 09.10.2008 (Post-Lehman-Crash)
Eines haben diese unrühmlichen Tage, wie auch die vorher genannten "Serien", alle gemeinsam: es folgte eine mehr oder wenige starke Erholung, die Welt drehte sich weiter, aber es war in keinem Fall der Endpunkt der unruhigen Börsenzeit. Doch nun zu meinen Tagesgedanken.

Ein besonderes schwarzer Börsentag

Wenn kollektiver Kontrollverlust = Panik bedeutet, wie es Joachim Goldberg in seinem Blog beschrieb, dann hatten wir heute sicher einen Panik-Tag. Gerüchte kochen über und eine drohende Herabstufung Frankreichs von AAA auf irgendetwas darunter lassen die Anleger gleich vermuten, eine oder mehrere Großbanken gingen Pleite.

Zugegeben, wir waren die letzten Wochen bearish und skizzierten immer wieder die negative Spirale aus Vertrauensverlust, prozyklischen Absicherungsgeschäften, halbherzigen Politikeingriffen und weiterem Vertrauensverlust.

Was wir aber heute erleben durften, geht sogar uns als Bären etwas zu weit. Sitzen denn vor den Handelsschirmen nur noch emotionale Prozykliker, die das Denken verlernt haben? Wo sind nun all die Optimisten, die wochenlang zugeschaut haben, wie sich die Probleme aufbauten und die Wirtschaftsindikatoren verschlechterten. Und dennoch haben diese "Profis" immer wieder betont, wie toll die Aktien sind, wie werthaltig, wie fundamental billig - und das man sie auch bei DAX-Ständen > 7.000 Punkten unbedingt kaufen muss.

Jetzt, da eventuell auch Frankreich ein Downgrade erfährt, wird alles in Sack und Asche geprügelt, als ginge morgen die Welt unter. Meine Herren, ich habe heute noch getankt, gegessen und sogar ein relativ teures Konsumgut angeschafft. Die Welt wird morgen noch existieren. Bei der Finanzindustrie, so scheint es, kann man sich da nicht mehr so sicher sein.

Ich will die Euro-Schuldenkrise wahrlich nicht kleinreden, im Gegenteil. Wir waren mit daran beteiligt, für Aufklärung auf diesem Gebiet zu sorgen. Und wir stehen vor schwierigen Entscheidungen und ja, unser Wirtschaftssystem zeigt sich mehr als fragil. Ich weiß nicht, wie lange wir uns noch leisten wollen, alle 2-3 Jahre mit dem völligen Zusammenbruch des Finanzwesens konfrontiert zu werden.

Aber es darf doch nicht vergessen werden, dass nicht alle Schulden wertlos sind. Schließlich verfügen die Staaten über enorme Vermögenswerte und eine Besteuerungsfähigkeit, die es erlaubt, einen erheblichen Schuldenberg zu tragen. Natürlich müssen die Politiker den ernst der Lage erkennen und endlich Antworten auf die drängenden Fragen geben. Aber diese sind noch immer möglich.

Es wird dringend Zeit, einen Wellenbrecher für die Märkte zu installieren. Unsere mehrfach hier bereits vorgeschlagene "Investor-Put"-Variante wäre noch immer vielversprechend. Dies ist auch insoweit dringend geboten, als es selbst für einen Contrarian nahe an "finanziellen" Selbstmord heranreicht, in diesen Markt zu investieren. Und wenn selbst die Hartgesottenen sich nicht mehr trauen, haben wir ein sehr ernstes Problem!

Zudem droht schon das nächste Problem, da sich die Frage der Werthaltigkeit letztlich auch bei den derzeitigen Haupt-Fluchtpunkten der Anleger, Bundesanleihen und US Treasuries, stellt, sollte tatsächlich das Ende des Bank- und Finanzwesens nahen.

Wir alle sollten hoffen, dass die Politik endlich zu vernünftigen, auch die Psychologie berücksichtigende Lösungen, findet. Und dass die Risikobudgets der institutionellen Anleger nicht schneller schmelzen, als unser Verstand.

Monday, August 8, 2011

Die zwei entscheidenden Fragen des Marktes

Die heutige Datenveröffentlichung der sentix Konjunkturindizes hatten es in sich. Mit einem Rückgang von fast 19 Punkten brach der Gesamtindex für Euroland so stark ein, wie nie zuvor. Hinter den Kursrückgängen an den Aktienmärkten steckt also nicht irrationale Panik, wie so mancher Analyst vermutet, sondern handfeste Sorgen um einen globalen, synchronen Konjunkturabschwung.

Man kann es präzisieren: die Märkte verlangen eine Antwort auf zwei einfache Fragen.

Frage 1: in welchem Maße sind Staatsanleihen noch werthaltig?

Es ist klar, dass nicht alle Staatsanleihen wertlos sind. Entsprechende Übertreibungen sind völlig fehl am Platze. Aber ein Investor, beispielsweise eine Pensionskasse, hat derzeit das Problem, nicht zu wissen, in welchem Maße welche Anleihen welches Landes wirklich nachhaltig gesichert sind. Dies führt dazu, dass letztlich der Preis als einzige Orientierung verbleibt und undifferenziert - rein aus Risikoüberlegungen - Werte veräußert werden. Womöglich notieren inzwischen einzelne Papiere bereits unter ihrem inneren Wert - oder noch immer darüber! Who knows ...

Unser Vorschlag der Gewährung von Put-Optionen für Investoren würde diese Unsicherheit beseitigen. So hilfreich auf den ersten Blick Anleihekäufe durch die EZB sein mögen, bewirken sie nicht die Rückkehr von Vertrauen. Denn man vermutet hinter der EZB-Aktion politisches Kalkül statt ökonomischer Ratio. Ein Investor-Put, der im Falle der Ausübung wie ein Schuldenrückkauf zu einer Schuldenreduktion führen würde, würde den Investoren Planungssicherheit geben und den Druck zu schnellen Handlungen nehmen. Der Politik würde es Zeit verschaffen, Antworten auf Frage 2 zu finden.

Frage 2: Wenn wir wissen, dass Staaten nicht mehr Schulden machen sollen / dürfen, wie sieht dann die Wirtschaftspolitik der Zukunft aus, wenn einem der wichtigsten Akteure im Markt die Hände gebunden sind?

Diese Frage wird bislang kaum vom Mainstream gestellt, ist aber wahrscheinlich der Grund, warum die Märkte so heftig auf die sich abzeichnende konjunkturelle Verschlechterung reagieren. Das eigentliche Problem am Downgrade der USA ist nicht der Verlust des AAA. Zumal bei einer Notenbank, die im Zweifel sowie alle Anleihen aufkauft, eher die Währung als die Anleihe das Problem ist. Der Downgrade zeigt, dass auch Amerika nun in der Aufnahme neuer Schulden eingeschränkt ist. Da die US-Wirtschaft aber wie keine andere nur durch neue Schulden Wachstum generieren kann, wird die ökonomische Sollbruchstelle schnell offenkundig.

Aber auch in Europa müssen alle Regierungen umdenken. Kein Land, weder Italien noch Frankreich noch Deutschland, kann es sich künftig erlauben, Defizite wie in der Vergangenheit zu fahren. Damit wird regieren deutlich anspruchsvoller, man könnte auch sagen: jetzt gewinnt die Qualität wieder die Oberhand über die Quantität.

So gesehen bestehen auch in dieser Krise wieder Chancen. Die Politik wird sich dieser Wahrheit, die für die heutige Generation Politiker, die nichts anderes kennen, als andere Leute Geld mehr oder weniger sinnvoll / sinnlos auszugeben, sehr schmerzhaft ist, stellen müssen. Am Ende dieser Entwicklung werden wir gelernt haben, was im Leben wirklich wichtig ist.

Sunday, August 7, 2011

Die Systemfrage

In unserem Jahresausblick für 2011 bezeichneten wir die vor uns liegende Zeit als die "schönste Galgenfrist aller Zeiten". Dieses Wortspiel sollte zum einen betonen, dass die Maßnahmen von Regierungen und Notenbanken, mehr Geld und Schulden zu produzieren um die Solvenzkrise in den Griff zu kriegen, zu steigenden Assetpreisen und damit zu einem gewissen Wohlbefinden an den Märkten führen könnte. Die gute Börsenphase der ersten sechs Monate ist darauf zurückzuführen.

Zum anderen ist eine Galgenfrist endlich und endet mit der Hinrichtung - die Solvenzkrise steuert demnach auf eine schreckliches Ende zu. Nach einer der schlimmsten Börsenwochen der letzten Jahren und anberaumten Notsitzungen für den heutigen Tag, stellt sich die Frage, ob sich die Galgenfrist nun dem Ende neigt und damit das Ziel des gesamten Finanzkrisen-Prozesses seit 2007 erreicht wird.

Versetzen wir uns in die Lage von Merkel, Baroso, Obama und Co. Mit viel Aufwand, viel Beratungsleistung durch "die Wölfe" (z.B. Deutsche Bank, Lockruf für Wölfe), viel Geld, vielen ungesetzlichen Eingriffen und notstandlichen Alternativlosigkeiten, haben sie nichts erreicht, außer das Leiden zu verlängern, die Kosten zu erhöhen und die Handlungsfähigkeit eingebüßt zu haben. Noch nicht einmal ihren "wohlverdienten" Sommerurlaub dürfen sie unbeschwert genießen. Wie fühlt man sich da? Vermutlich zornig, hilflos, depressiv, verzweifelt.

Dies sind die typischen Gefühle, die Menschen haben, wenn sie etwas Wichtiges verloren haben - und dies nicht zu akzeptieren bereit sind. Jetzt gibt es zwei Handlungsoptionen:
  1. Die Politik drückt sich weiter vor der Akzeptanz des Unausweichlichen herum. In diesem Fall setzt sich der Wahnsinn fort. Wahnsinn deshalb, weil erneut mehr von dem gemacht würde, was sich bereits als untauglich erwiesen hat. Dies geht faktisch nur über ein "all in", wie man im Poker sagen würde. Man schockt seine Mitspieler damit, alles auf eine Karte zu setzen. Die gemeinschaftliche Schuldenfinanzierung in Europa würde kommen mit Deutschland als Oberzahlmeister. Oder die EZB betreibt ein QE Europa (was in Bezug auf Haftung Deutschlands das gleiche bedeutet). Beide Varianten wären jedoch ein "bleuf". Vielleicht würde der eine oder andere Wolf am Tisch aufgeben, aber letztlich sicher nicht alle. Die Logik des Scheiterns der gewählten Politik liegt dafür schon zu sichtbar auf dem Tisch. Wird der Bleuf aufgedeckt, wird es sehr unangenehm.
  2. Die Politik akzeptiert, dass sie verzockt hat, wirft ihr Blatt weg und kapituliert.
Analysieren wir, was Variante 2 bedeuten würde.

Ein Mensch, der kapituliert, gibt sich und das, woran er festgehalten hat, auf. Er begibt sich in sein Schicksal und erträgt, was ihm dieses auferlegt. So wichtig wie die Akzeptanz des Verlustes auch ist, um den Kopf frei zu bekommen. So wichtig ist auch, diese Freiheit im Kopf dazu zu benutzen, die wahren Handlungsalternativen zu beleuchten. Denn diese haben es in sich!

Ich befürchte, dass Regierungen und Notenbanker, die einmal die Unmöglichkeit ihres Tuns erkannt haben, dazu neigen könnten, "tabula rasa" zu machen. Man könnte den Märkten die Schuld in die Schuhe schieben und massiv in diese eingreifen, in dem man die Börsen schließt, Banken verstaatlicht, bestimmte Händel oder Besitze verbietet. In diesem Falle würden wir die Kapitulation mit einem hohen Maße an Freiheitsverlusten bezahlen.

Eine andere Variante kann sein, den Euro als Schuldigen zu identifizieren und diesen faktisch zu zerschlagen. Entweder in dem man Griechenland und Co. rauswirft (das wäre eine Katastrophe) oder Deutschland (evtl. zusammen mit den Niederlanden und Österreich) austreten würde. Dies wäre zwar einfacher zu managen, als wenn Griechenland austreten würde, aber ebenfalls nicht wünschenswert.

Der sentix Vorschlag

Es gibt jedoch auch eine Variante, welche das Problem an der Wurzel packen würde, ohne in die Märkte einzugreifen - der "Investor-Put", also die Gewährung von kostenlosen Put-Optionen an alle Inhaber von Euro-Staatsanleihen, welche bei Ausübung quasi zu einem Schuldenrückkauf und damit zu einer Schuldenvernichtung führen würde (zu 100% auf Kosten derer, die diese Anleihen halten!).

Was macht diese Put-Lösung so viel besser, als alles andere, was bisher vorgeschlagen wurde?

Stellen Sie sich vor, sie haben ein Aktienportfolio und die Kurse fallen und fallen. Möglicherweise sogar unter ihren wahren Wert. In diesem Falle geraten sie entweder früher oder später in Panik und entledigen sich ihrer Risiken. Oder Sie erwerben eine Versicherung, die Ihnen das Risiko begrenzt. Sobald Sie die Versicherung abgeschlossen haben, weicht der psychologische Schmerz. Deshalb achten Analysten auf die Put-Umsätze in einem Bärenmarkt. Sobald alle unter Druck stehenden Anleger einen Put besitzen, ist der Bärenmarkt vorbei! Gleiches wäre der Fall, wenn jeder Anleihegläubiger eine solche Versicherung hätte!

Viele Pensionskassen, Versicherungem, Banken und Sparkassen halten Bestände in mehr oder weniger fragwürdigen Staatsanleihen. Die fallenden Kurse haben jedes Sicherheitsgefühl in diesen Papieren zerstört und es besteht die große Gefahr, dass nun ausschließlich aus Unsicherheit und Angst verkauft werden muss. Wären diese Bestände versichert - was automatisch bedeuten würde, dass die noch möglichen Verluste kalkulierbar wären - erhielten diese Investoren die notwendige Zeit, die Werthaltigkeit der Staatsanleihen nachhaltig zu bestimmen und dann zu entscheiden, die Versicherung in Anspruch zu nehmen (mit der Folge, dass effektiv auch Schulden vernichtet würden) oder die Bestände zu halten (mit der Folge, dass die Verkaufswelle wirklich gebrochen wäre).

Man kann die "bösen Derivate" auch in den Dienst der guten Sache stellen!

Die Schuldner, praktisch alle Staaten, bekämen dann die Zeit, aus dieser Krise die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Nämlich:
  • Abkehr von der Verschuldungswirtschaft
  • Ende der Verschwendungssucht des Staates
  • Abbau von Bürokratie und Stärkung der Selbstentscheidungsrechte des Bürgers
  • Beteiligung der Reichen am Lastenausgleich
  • Formulierung eines neuen Wertekonsens für die Gesellschaften.
Denn wenn dieser Läuterungsprozess nicht einsetzt, dann wird auch der smarteste Vorschlag letztlich fehlgreifen. Dann bleibt nur das "harte Ende", das ich mir nicht ausmalen möchte.

Das nervt - über Panik und mangelnde Lernfähigkeit

Nein, in den nachfolgenden Zeilen geht es ausnahmsweise mal nicht um die Euro-Krise und die Unfähigkeit der Top-Entscheider. Naja, ein wenig schon. Aber eigentlich geht es um die Berichterstatter der Finanzmärkte.

Schlägt man den Blätterwald auf oder frönt dem Börsen-Fernsehen, dann fällt derzeit sehr oft das Wort "Panik". Analysten, vermeintliche Sentiment-Experten und sonstige Marktgrößen bekommen derzeit alle die gleiche Frage gestellt: "haben wir Panik?" und "was kommt danach?".

Meist wird die Frage nach der Panik gar nicht als Frage formuliert, sondern als Tatsache quasi festgestellt. "Herr Analyst, wir haben Panik, wie geht es nun weiter?"

Aber haben wir wirklich Panik? Wie stellt man diese fest? Seit letzten Mittwoch lese ich täglich, das wir Panik an den Märkten hätten. Das bezweifelten wir und haben die Folgen im letzten Blogbeitrag bereits "werthaltig" für Sie ausgeführt.

Eine Panik ist eher ein singuläres Ereignis, der "wash-out", die Kapitulation. Nicht ein Ereignis welches sich tagelang hinzieht. Die meisten Journalisten glauben, dass jeder Kursverfall, den sie nicht erwartet haben und der auch von den Mainstream-Analysten nicht vorhergesagt wurde, eine Panik, eine irrationale Übertreibung, sein muss. Welch ein Irrtum!

Schlimm auch, dass diese psychologischen Begrifflichkeiten so undifferenziert verwendet werden und meist dahinter weder eine wirkliche Analyse des psychologischen Zustandes steht, noch eine Theorie, was mit den Ergebnissen anzufangen sei. Wir haben uns bei sentix genau darauf spezialisiert und erheben seit mehr als 10 Jahren Woche für Woche ein sehr differenziertes Stimmungsbild, leiten daraus nachvollziehbare - und oft genug treffsichere - Analysen ab. Wir analysieren nicht im Elfenbeinturm oder für die Galerie - denn wir setzen an den Märkten auch das um, was wir analysieren!

Und unsere Daten von diesem Freitag signalisieren ganz klar: wir haben noch keine Panik! Wir hatten gemäß unseren Daten auch im November 2008 keine Panik, was damals richtig war, denn das endgültige Markttief wurde erst im März 2009 erreicht - just zu einem Zeitpunkt, wo wir tatsächlich Panik messen konnten!

Aber es passt ins Bild. Die Menschen wollen keine Wahrheiten, sie wollen lieber einfache Geschichten und Lösungsvorschläge hören. Deshalb sind auch Analysten, die vor allem schöne Geschichten erzählen, so beliebt. Und vor allem wollen die Menschen in schweren Kapitalmarktzeiten wie diesen nicht die Hoffnung zerstört bekommen, die erlittenen Verluste seien nur temporär und würden sich schnell egalisieren. Genau das ist nämlich der Grund, warum sich manche Berichterstatter in diesen schweren Tagen ausgerechnet dort Rat holen, wo sie ihn am wenigsten finden.

Es ist schon mehr als fragwürdig, dass die Medien ausgerechnet die Analysten und Experten derzeit bevorzugt zu Wort kommen lassen, die den Absturz am wenigsten vorausgesehen haben. Und wenn diese Analysten dann mit psychologischen Begriffen hantieren, könnte das zwar einerseits ein Zeichen der Erkenntnis sein. Wenn aber die vorgeschlagenen Lösungen lauten, einfach noch mehr von dem zu tun, was sich bereits als untauglich erwiesen hat, ist es nicht Weisheit und Erkenntnis, sondern Unfug.

Derzeit lautet demnach so manches Urteil von Analysten: " ich verstehe zwar nicht warum die Kurse fallen - aber das muss Panik sein - es ist jetzt alles so billig - es wird schon wieder - ohne Gewähr". Ein solcher Ratschlag, wenn er denn auch noch mit der vermeintlich vorliegenden Panik sein "Gütesiegel" erhält, ist gefährlich. Er hält die Anleger - wie auch den Analysten selbst - im Zustand der Hoffnung gefangen. Der Verlustbewältigungsprozess wird verzögert, es kommt nicht zur finalen Stufe, der Akzeptanz.

Denn ein echter Erkenntnisprozess zeichnet sich dadurch aus, dass nicht die Kursbewegung auf ein irrationale Preisänderung reduziert wird, sondern erkannt wird, dass wirklich etwas Nachhaltiges und Rationales (!) passiert ist. Nach dieser Erkenntnis kommt meist erst der richtige Schreck - und dann die Panik -  und dann die Besserung. Wer jetzt auf die Besserung hofft, ohne das Ausmaß des Problems vollständig erfasst zu haben, befindet sich vielleicht in "Schockstarre" und ist verzweifelt - ist damit aber in der Hoffnung und kognitiven Dissonanz noch gefangen - und hat die Panik noch vor sich.

Thursday, August 4, 2011

Das kann doch einen Zocker nicht erschüttern

"Das kann doch einen Zocker nicht erschüttern" titelte das Handelsblatt Online gestern abend und berichtet damit über die Befindlichkeiten der Anleger.

Bekanntermaßen untersuchen wir bei sentix auch den Medientenor, da dieser manchmal sehr viel über die laufenden Wahrnehmungsprozesse der Anleger offenbaren kann. Im Folgenden wollen wir einige Medienstatements der letzten 24 Stunden betrachten und uns fragen, was diese wohl für die weitere Marktentwicklung bedeuten könnten.

Beginnen wir mit der Titelzeile der oben erwähnten Beitrages selbst: dort werden die aktuellen Anleger als "Zocker" bezeichnet, was auf eine erhöhte Risikobereitschaft im Markt schließen lässt. Diese lassen sich "nicht erschüttern", was auf Verdrängung / Leugnen hindeutet. Bekanntermaßen steht die Phase des Leugnens unserer Analyse nach für das Frühstadium einer Abwärtsbewegung und nicht für ein Ende!

Weiter heißt es dann: "Was die meisten überrascht: Warum kommt der Absturz gerade jetzt? Selbst erfahrene Börsianer und selbst ernannte Börsenexperten haben den Absturz nicht vorhergesehen. Nicht wenige haben eine „Erleichterungsrally“ vorhergesagt"

Solche Statements "erfreuen" mich immer wieder. Weil der Autor oder die Befragten es nicht "gesehen" haben, wird gleich daraus - wohl zum Selbstschutz - eine absolute Aussage: kein Experte, selbst die sehr erfahrenen, hat es gesehen. Eine solche Aussage muss natürlich falsch sein, denn niemand kennt alle Experten. Gleichzeitig müssen ja diejenigen, die es gesehen haben, unerfahren sein oder eben keine Experten. Bei solchen Verteidigungsargumenten handelt es sich um einen psychologischen Schutzmechanismus zur Wahrung des Selbstbildes, der aber die unangenehme Eigenschaft hat, eigenes Lernen zu behindern. Denn wenn es kein beachtenswerter Marktteilnehmer gesehen hat, muss sich der Anleger auch nicht selbst in Frage stellen und kann sich die mühsame Suche nach besseren Informationen schenken - welch ein Irrtum!!!

Da hatten es die sentix Teilnehmer mal wieder besser, die sehr wohl vorbereitet waren.

Aber obwohl die "Börsenexperten" keine Antwort haben, wird das negative Preissignal - getreu dem psychologischen Zustand der kognitiven Dissonanz - verdrängt. Ein weiteres Indiz dafür, dass diese Abwärtsbewegung noch weit davon entfernt ist, ihren endgültigen Endpunkt erreicht zu haben.

Dieser Artikel ist nicht der einzig auffallende. Heute berichtet das Handelsblatt (Print) davon, was Bankenexperten diverser Häuser zum Besten geben. Das Urteil: "Auch sie sind erfrischend positiv gestimmt. Fazit 1: Die Börse übertreibt. Fazit 2: Aber wir müssen den Zitterhänden ja nicht folgen. "

Unser sentix Fonds 1 (A1C2XH) steht bekanntlich unter dem Motto "erfrischend anders investieren" (neues Monatsreporting für Juli mit Fondsmanager-Kommentar online).

Was daran jedoch "erfrischend" sein soll, sich markanten Preissignalen mit dem abstrakten Verweis auf eine Übertreibung zu widersetzen, erschließt sich mir nicht. Das Wort der Übertreibung wird zudem meist dann verwendet, wenn der Befragte keine rechte Erklärung für die Entwicklung hat und auf eine "mean reversion" - auf eine Rückkehr zu vorhergehenden Kurslevels - setzt. Doch gerade dann, wenn man die Preisentwicklung nicht erklären kann, sollte man den Preis als einzig objektive Information ernst nehmen. Das Konzept der kognitiven Dissonanz erlaubt aber genau das den meisten Menschen nicht und so feiern Verdrängungsmechanismen "fröhliche Urstände".

Ein drittes Beispiel gefällig? Dann einfach mal auf dem Börsenportal der ARD vorbeischauen und das Bild auf der Startseite zur heutigen Frühbörse genießen.Unter der Überschrift "Her mit der Gegenbewegung" schaukelt ein Investor der Sonne entgegen. Auch hier suggeriert das Bild "überschwengliche Freude", aber bekanntlich soll man der Sonne nicht zu Nahe kommen. Ikarus lässt grüßen.

Von Angst und Panik kann also in keiner Weise gesprochen werden. Die "Kapitulation" als Endphase einer Bewegung dokumentieren die Medien ganz klar noch nicht. Vielmehr stehen nachhaltige Umkehrformationen oder der Bruch wichtiger, strategischer Unterstützungsmarken im Raum. Vergleichen Sie einfach die charttechnische Bedeutung der Umkehr in der Automobilbranche mit den noch immer bullishen Kommentaren von Analysten und Medien zu derselben! Der Preis ist letztlich die einzig objektive Information und solange sich die Investoren weigern, die Botschaft des Marktes im Kontext der charttechnischen Bedeutung zu würdigen, bestehen aus dieser Analyse heraus mehr Risiken als Chancen. Natürlich sind gewisse Gegenbewegungen nicht nur denkbar sondern sogar sehr wahrscheinlich. Aber sie sollten weniger als Startsignal für eine neue Bullenrunde sondern als dringend notwendige Gelegenheit zum Positionsabbau verstanden werden.